Schon als Neugeborene haben wir ein starkes Streben nach engen emotionalen Bindungen, welches bis ins hohen Alter anhält. Die Bindung an die Eltern (oder andere Ersatzpersonen) bietet dem Säugling und dem Kleinkind Schutz, Zuwendung und die Erfüllung vitaler Grundbedürfnisse. Da das Neugeborene noch sehr wenige Möglichkeiten hat, seine Bedürfnisse zum Ausdruck zu bringen und für seine Sicherheit zu sorgen, ist es auf die feinfühlige, wohlwollende und eingestimmte Zuwendung der Mutter angewiesen. Ihre Feinfühligkeit und eingestimmte Zuwendung zeigt sich an ihrem Verhalten, ihrer Sprache samt Rhythmus, ihrem Blick- und Körperkontakt. Wenn das Kind Hunger oder Durst hat, wenn ihm zu kalt oder zu warm ist, wenn es nass ist, wenn es mehr oder weniger Stimulation braucht, ist es ganz und gar darauf angewiesen, dass z.B. die Mutter seine Signale versteht und Abhilfe schafft. Bei wiederholter und anhaltender Missachtung der kindlichen Bedürfnisse droht die Entstehung eines Bindungstrauma und die Ausbildung eines der unten aufgeführten Bindungsstile (auch Mischformen sind möglich). Erfährt das Kind hingegen in kontinuierlicher Weise ein eingestimmtes Gegenüber, entwickelt sich im Kind ein sicherer Bindungsstil.
Sind Eltern mit ihrem Kind auf zuverlässige Art präsent, spielerisch, Schutz und Sicherheit vermittelnd, entwickelt es ein starkes Vertrauen in sich selbst, in andere und in die Welt. Das Kind fühlt sich auf der Welt willkommen, geschätzt und geliebt. Es weiß um das eigene Gut-Sein und die Möglichkeit, Verbindung, Sinnhaftigkeit und Geborgenheit in der Welt zu erfahren.
Als Erwachsener weiß er, dass die eigenen Bedürfnisse wichtig sind und es verdienen, Beachtung zu finden. Es entsteht ein natürlicher Rhythmus von Verbundenheit und Allein-Sein, so dass es keine Angst vor dem Allein-Sein gibt. Ungesunde oder missbräuchliche Beziehung werden nicht eingegangen bzw. schnell verlassen. Schwierigkeiten und Unstimmigkeiten in Beziehungen werden klar kommuniziert. Herz und Sexualität sind integriert.
Der sichere Bindungsstil ist die evolutionär angelegte Blaupause des Menschen. Es ist sein Geburtsrecht. Aufgrund der hohen Plastizität (Veränderbarkeit) des Nervensystems kann – selbst bei sehr verletzender Kindheit – diese Blaupause „freigelegt“ werden. Es ist ein therapeutischer Prozess der Geduld, Achtsamkeit und Mitgefühl braucht.
„Der sichere Bindungsstil ist unsere ursprüngliche Konzeption. Unser Körper und unser Gehirn können erneut entdecken, wie wir auf dieser Grundlage unser Leben leben können.“ Diane Pool-Heller
Sind die primären Bezugspersonen physisch und emotional nicht genug anwesend, um die Bedürfnisse des Kindes in ausreichendem Maße berücksichtigen zu können, lernt es, dass es besser ist, niemand zu brauchen und sich nur auf sich selbst zu verlassen.
Bei diesem Bindungstil entwickelt es die Kompetenz, mit sehr wenig an nährender Zuwendung aus zukommen. Als Erwachsene haben sie oft ein Gefühl von Einsamkeit und Isolation, auch wenn ein gewisser Stolz über ihre emotionale Unabhängigkeit bestehen mag. Häufig nehmen sie „Zuflucht“ in ihrem Verstand und ihrer Rationalität. Eher „gehen sie in den Kopf“ als sich ihre eigenen Gefühle, Bedürfnisse und Wünsche spüren zu lassen, was sehr schmerzhaft sein könnte. Möglicherweise leben sie ein Leben auf Sparflamme.
Häufig sind die Bezugspersonen sehr wechselhaft und unzuverlässig in ihrer Zuwendung für das Kind. Mal geben sie ganz viel Aufmerksamkeit, evtl. sogar in einer grenzüberschreitenden Art. Dann gehen sie wieder ganz auf Distanz, bis hin zu Drohungen, das Kind zu verlassen. Es weiß nicht, wo es dran ist, bleibt aber in der sehnsüchtigen Hoffnung, irgendwann wieder Zuwendung zu erfahren. Das Bindungssystem wird dauerhaft hoch gefahren, was damit einhergeht, dass es sehr stark auf die Bezugspersonen fokussiert. Dabei lernt das Kind, der Außenwelt eine übergroße Bedeutung für das eigene Wohlergehen zu geben. Es bleibt eine stete ängstliche Unsicherheit darüber, ob die eigenen Bedürfnisse Beachtung finden werden. Bei diesem Bindungsstil erlebt das Kind großen Stress bei Abschied und Trennung. Auch beim Erwachsenen bleibt eine ständige alarmierte Aufmerksamkeit auf andere Menschen als Quellen der Bedürfnis-Erfüllung. Er fühlt einen ständigen Hunger nach Nähe und Liebe, ist schnell eifersüchtig und „hängt am Tropf“ der Umwelt.
Das Kind erlebt Gefahr durch seine primäre Bezugsperson, die es verletzend und missbräuchlich behandelt. Möglicherweise gibt es gewalttätige, sexuell übergriffige Begegnungen. Sie verhält sich gegenüber dem Kind verwirrend, beunruhigend, beängstigend und chaotisch. Das Kind hat einerseits panische Angst vor der gefährlichen Bindungsperson, einherhehend mit einem intensiven Fluchtimpuls. Andererseits gibt das angeborene Bindungssystem den Impuls, bei ihr Schutz zu suchen und den „sicheren Hafen“ anzusteuern. Bei diesen widerstrebenden Impulsen steckt der Mensch, auch noch als Erwachsener zwischen Annäherungs- und Fluchtimpulsen fest. Dieses Paradox kann mit überwältigenden schmerzhaften Gefühle (Angst, Rage, Verzweiflung), Dissoziation, Eingefroren-Sein und Depression einhergehen. Bei diesem Bindungsstil besteht die Tendenz zur transgenerationalen Weitergabe des Traumas.