Die Psychodynamisch Imaginative Traumatherapie (PITT) wurde von Prof. Luise Reddemann, der Grande Dame der deutschen Traumatherapie entwickelt. Die Entdeckung der Ego-State-Therapie war für Reddemann ein Meilenstein im Verständnis ihrer traumatisierten Patient*innen. Dieses Konzept wird – ihrer Meinung nach – der Komplexität von Menschen sehr viel gerechter als die drei seelischen Instanzen, die Sigmund Freud beschrieben hatte: Ich, Es und Über-Ich. Ein Ego-State ist in der Regel ein jüngerer innerer Anteil, der in einer leidvollen biografischen Situationen entstanden war. Diese Sichtweise ermöglicht, dass sich in der psychotherapeutischen Praxis zwei erwachsene Personen – die Klientin und die Psychotherapeutin – dem verletzten inneren Kind (Ego-State) im Hier und Jetzt mit Mitgefühl zuwenden können.
Ein Kind ist auf Gedeih und Verderb von seinen Eltern abhängig, es kann nicht sagen: „Hier ist es nicht gut, ich packe meinen Koffer, ich gehe.“ Stattdessen muss es schauen, wie es im schwierigen Umfeld klar kommt. Es muss auf jeden Fall den Kontakt zu den Eltern halten, denn ohne diesen, kann es nicht überleben. Um das sicher zu stellen, nimmt das Kind die eigene Lebendigkeit und Echtheit so weit zurück bis es den Vorstellungen der Eltern entspricht. Damit bewahrt das Kind die überlebensnotwendige Bindung zu den Eltern. Dabei wendet es sich gegen sich selbst: es sieht sich selbst als schlechten Menschen, der der Liebe der (guten) Eltern nicht würdig ist. Mit diesem schambasierten Selbstbild bewahrt es die Hoffnung, dass es sich die Liebe der Eltern verdienen kann, wenn es sich nur genügend anstrengt, um das Kind zu werden, das die Eltern wirklich lieben können.
Die größte Ressource ist die Erkenntnis des eigenen Erwachsen-Seins. Der jüngere, verletzte innere Anteil (inneres Kind) steckt noch immer in der überwältigenden Situation der Vergangenheit fest, noch immer ist es voller Angst, die Bindung zu den Eltern zu verlieren. Er hat noch nicht mitgekriegt, dass die Zeit weiter gegangen ist.
Die Klientin, die noch sehr mit den früheren Verletzungen identifiziert ist, hat vielleicht noch gar nicht vollumfänglich realisiert, dass sie heute ein durchaus gutes und gelingendes Leben hat. Damals als Kind war sie von den Eltern abhängig, heute kann sie die Verstrickung mit den (verinnerlichten) Eltern lösen. Nach und nach vermitteln die Klientin und die Therapeutin dem inneren Kind, dass die Zeit sich ganz und gar verändert hat, dass die Klientin nun erwachsen ist. Dabei erfährt das Kind Mitgefühl und Trost für das Schlimme, das es erfahren hat. Das geschehene Unrecht wird dabei anerkannt. Im Prozess der Heilung kommt der verletzte jüngere Anteil mehr und mehr im „Hier und Heute“ an.
Diese – von Luise Reddemann entwickelte – therapeutische Methode regt die Entwicklung von wohltuenden inneren Bildern an, die als Gegengewicht zu den leidvollen inneren Bildern (z.B. in Form von Erinnerungen) dienen sollen. Diese tauchen häufig gewohnheitsmäßig wieder und wieder im Bewusstsein auf. Da unser Gehirn eine Vorliebe für das Negative hat, empfiehlt es sich unbedingt diese ungünstige Fixierung mit der Entwicklung von wohltuenden Bildern zu balancieren. Außerdem regt PITT die Kultivierung von genuss- und freudvollem Erleben an. Auch wenn wir in der Vergangenheit viel Leid erlebt haben, gibt es den ganzen Tag über Mikromomente, die vergnüglich sind und als solche zu einer verkörperten Erfahrung werden können. Auf diese Weise lernt das Gehirn, dass der Schrecken der Vergangenheit vorbei ist und dass das heutige erwachsene Leben neben Schwierigem voller Potential für Freude, Erfüllung und Genuss ist.