Christoph
Millington
EMDR ist die Abkürzung für „Eye Movement Desensitization and Reprocessing“, was auf Deutsch „Desensibilisierung und Verarbeitung durch Augenbewegung“ bedeutet. EMDR arbeitet mit einer bilateralen Stimulation: die Klientin folgt den Fingern des Behandlers mit den Augen, während dieser seine Hand abwechselnd nach rechts und links bewegt. Diese Stimulation unterstützt das Gehirn, die eigenen Selbstheilungskräfte zu aktivieren und die belastenden Erinnerungen zu verarbeiten. Mit EMDR ist die Heilung von Trauma schonend und elegant möglich.
Bei einem traumatischen Erlebnis handelt es sich um ein erschütterndes Ereignis, das so schnell, heftig und intensiv auf uns einwirkt, dass unser Gehirn außerstande ist, es geordnet zu verarbeiten. Typischerweise geht dies mit Gefühlen von Hilflosigkeit, Ausgeliefert-Sein und Kontrollverlust einher. Bei so hochgradigem Stress wird unser Körper von den Stresshormonen Adrenalin und Cortisol überschwemmt. Es handelt sich hierbei um eine Notfall-Reaktion unseres Organismus bei dem unser Überleben höchste Priorität hat. Die Stresshormone versetzen unseren Organismus in die Lage, zu kämpfen oder zu fliehen. Falls Kämpfen oder Fliehen, trotz unvorstellbarer Kraftentwicklung, erfolglos ist, kommt es zur sogenannten Erstarrung. In diesem Zustand ist die Schmerzempfindlichkeit sehr reduziert, das bewusste Denken wird abgeschaltet, der Körper ist unbeweglich. Es sind die gewaltigen, nicht zur Vollendung gekommenen und in der Erstarrung gebundenen Energien, die uns in einem leicht auslösbaren Alarmzustand halten.
Unser Erleben – von Moment zu Moment – besteht aus einzelnen Puzzlesteinen: Momente des Hörens, Riechens, Sehens oder Schmeckens gehen zusammen mit Körperempfindungen, Gefühlen und Kognitionen (z.B. Schlussfolgerungen und Interpretationen). Jeder Puzzlestein hat im Gehirn seinen eigenen, z.T. weit voneinander entfernten, Gedächtnisbereich, wo er gespeichert wird. Es braucht die integrierende Funktion des sogenannten Hippocampus (Seepferdchen), einer neuronalen Struktur im Zwischenhirn, um aus dem Erlebten ein zusammenhängendes, erzählbares, erinnertes Ganzes zu machen.
Das Stresshormon Cortisol, das in der traumatischen Notfallsituation den Körper überschwemmt, hemmt den Hippocampus in seiner ordnenden Funktion. So kann das schlimme Ereignis nicht geordnet gespeichert werden. Wenn der Hippocampus blockiert ist, bleiben die rohen, Moment für Moment erlebten Erfahrungsfragmente freischwebende, ungeordnete Puzzlestücke. Diese Puzzlestücke, die keine zusammenhängende, erzählbare Erinnerung bilden, können massiv unsere Gegenwart beeinflussen, ohne dass uns unbedingt bewusst ist, dass etwas aus der Vergangenheit auf uns einwirkt. Solange die einzelnen Erlebens-Bausteine im Gehirn fragmentiert bleiben, werden sie immer wieder in unseren Alltag, in unsere Beziehungen eindringen und uns wieder und wieder in Angst und Schrecken versetzen.
Es braucht eine Aktivierung des Hippocampus, um die buchstäblich neuronal verstreuten Puzzlestücke miteinander zu verknüpfen. Erst dann kann das schlimme traumatische Erleben, Teil unserer erzählbaren Vergangenheit werden. Erst dann können wir das Erlebnis auf unserer biografischen Zeitschiene einordnen und fühlen, dass es vorbei ist. Und erst dann klingt die körperliche und seelische Alarmbereitschaft, die Angst und Panik ab.
Auch wenn man noch nicht genau weiß, wie diese Traumamethode wirkt, so vermutet man, dass über die bilaterale Stimulation der Augen, die linke und rechte Gehirnhälfte harmonisiert werden und der Hippocampus in seiner integrierenden Funktion wieder „online geht“.
Seit einigen Jahren bzw. Jahrzehnten machen faszinierende innovative neuro-bio-psychologische Behandlungsformen von sich Reden, wie z.B. EMDR, Brainspotting und PEP (Prozess- und Embodimentfokussierte Psychologie) Im Zentrum steht bei diesen Techniken die bifokale Aufmerksamkeit bei gleichzeitiger sensorischer Stimulation: Ein Fokus der Aufmerksamkeit wird auf die stressvolle innere Erregung (z.B. durch Traumafolgen, Prüfungsängste, etc.) gelegt, ein zweiter Fokus auf die sensorische Stimulation wie Augenbewegungen oder Körper-Beklopfungen. Während dieses Prozesses nimmt die Erregung typischerweise ab. Belastende Erinnerungen verblassen, schmerzhafte Gefühle reduzieren sich. An dessen Stelle erscheinen oft Ressourcen in Form von angenehmen Empfindungen, Gefühlen, positiven Bildern und erhellenden Erkenntnissen. Durch die Gleichzeitigkeit der Fokussierung auf belastende Gefühle und auf die sensorische Stimulation kommt es zu einer Neuverknüpfung und Reorganisation der bisherigen neuronalen Problem-Netzwerke. Neue „gesündere“, ressourcenvollere Netzwerke entstehen. Grundlage für diese Wirkhypothese ist die Neuroplastizität, also die Fähigkeit des Gehirns zum Umlernen.