»Vielleicht ist alles Schreckliche im tiefsten Grunde das Hilflose, das von uns Hilfe will.«Rainer Maria Rilke, Brief an Franz Xaver Kappus, 1904Selbstmitgefühl-Training
Selbstmitgefühl ist die Fähigkeit, sich dem eigenen Schmerz wohlwollend zuzuwenden. Diese Fähigkeit ist von dem Wunsch begleitet, den Schmerz zu lindern und von der Bereitschaft, die eigene Verantwortung dafür zu übernehmen. Mitgefühl ist ein menschliches Potenzial, das in jedem Menschen vorhanden ist, sich aus unterschiedlichen Gründen aber nicht immer voll entfalten kann. Die Fähigkeit dazu kann jedoch durch regelmäßiges Üben entwickelt und vertieft werden. Darin liegt das Ziel des Selbstmitgefühl-Training in Göttingen (MBCL). Ergebnisse dieser Praxis sind u.a. Gefühle von Geborgenheit , Verbundenheit mit sich und anderen und einer gesteigerten Genussfähigkeit. Die Fähigkeit zur Selbstliebe und Selbstannahme wird größer.
Bei vielen Menschen sitzt das Gefühl nicht „gut genug“ zu sein so tief, dass sie sich für wertlos halten und in ständiger Angst leben, von anderen kritisiert und ausgegrenzt zu werden. Auf das Gefühl unserer Unzulänglichkeit reagieren wir automatisch mit Selbstverurteilung und Selbstanklage in der (meist unbewussten) Hoffnung, uns diese Mängel „auszutreiben“. Diese automatisierte, unbewusste Strategie bringt allerdings nicht das gewünschte Ergebnis, im Gegenteil: das negative Selbstgefühl verstärkt sich noch.
Wie wäre es stattdessen, nur für einen Moment aufzuhören, gegen uns anzukämpfen, uns Selbstliebe und Selbstannahme zu schenken? Anstatt uns und unseren Schmerz zu bekämpfen, zu betäuben oder zu dramatisieren, könnten wir uns uns selbst liebevoll zuwenden, uns umsorgen und uns das geben, was wir gerade wirklich brauchen. Wir könnten lernen, uns selbst dieselbe fürsorgliche Aufmerksamkeit zu schenken, die wir einem geliebten Menschen, dem es gerade schlecht geht, geben würden. Für all das kann das Selbstmitgefühl-Training dienlich sein.
Durch Selbstmitgefühl kommen wir in die Lage, uns Schwierigkeiten zuzuwenden und mit den Herausforderungen des Lebens auf freundlichere und nachhaltigere Weise umzugehen. Es gibt uns die emotionale Stärke und Widerstandsfähigkeit, uns schneller von emotionalen Verletzungen zu erholen, uns unsere gemachten Fehler einzugestehen, uns zu vergeben und uns und anderen mit Fürsorge und Wertschätzung zu begegnen. Schließlich ist es menschlich, Fehler zu machen. Selbstmitgefühl unterstützt und inspiriert uns auch, die notwendigen Veränderungen in unserem Leben vorzunehmen, um unser volles Potenzial zu entfalten.
Dass beim MBCL so viel Nachdruck vor allem auf Freundlichkeit und Mitgefühl mit sich selbst liegt, bedeutet nicht, dass man im negativen Sinne selbstbezogen werden sollte. Die Forschung zeigt jedoch, dass Menschen mit gutem Selbstmitgefühl auch sehr mitfühlend mit anderen sind, wohingegen Menschen, die obwohl sie hart und streng mit sich selbst umgehen, trotzdem mitfühlend mit anderen sein können. Beim Selbstmitgefühl-Training (MBCL) gehen wir von der folgenden Perspektive aus: „Mache die Welt gütiger – beginne bei dir selbst“ und „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst“. Die folgende Metapher macht das deutlich: „Das Herz pumpt erst Blut zu sich selbst, bevor es Blut zu anderen Körperteilen pumpt.“ Würde es das nicht tun, würde es erst selbst und dann der restliche Körper sterben. So kann man erst gut für andere sorgen, wenn man gut für sich selbst sorgt.
Wir reden uns eine schwierige Situation nicht schön, sondern wir öffnen uns dem Schmerz. Wir werden nicht selbstgefällig, sondern eine wohlwollende Haltung uns selbst gegenüber motiviert uns, unsere Ziele mit Leichtigkeit und Kraft zu erreichen. Wir bemitleiden uns nicht, sondern lernen in schwierigen Situationen weise zu handeln. Mitfühlen erschöpft uns nicht, da wir aufhören unsere Erfahrung zu bekämpfen und sie stattdessen zulassen. Mitfühlen gibt uns Energie und Freude. Selbstmitgefühl ist nicht unnatürlich, da alle Lebewesen mit dem Wunsch geboren sind, glücklich und frei von Leiden zu sein.
Was ich für mich persönlich im Selbstmitgefühlskurs gelernt habe:
Ich gehe jetzt sehr viel bewusster durch die Welt und kann besser erkennen, aus welchen Motiven heraus ich oder andere Menschen handeln. Und ich spüre viel deutlicher, was in einer Situation heilsam sein könnte. Ich fühle mich stärker mit mir und meinen inneren Werten verbunden, und ich habe zum ersten Mal das Gefühl, dass ich zu mir selbst in einer warmherzigen Beziehung sein kann – ich habe das Gefühl, dass es einen warmen Ort in Mitten von allem geben kann, und ich kann das wirklich fühlen (nicht nur denken!).
— Silke, 42 Jahre
„Der MBCL- Kurs bei Christoph war äußerst effektiv, hat mir in einer sehr schwierigen Lebensphase Stabilität und Zuversicht geschenkt und mich motiviert diese Art der sanftmütigen Selbstannahme weiterhin im Alltag zu praktizieren und an andere Menschen weiterzugeben.”
— Marion, 50 Jahre
Die Vermittlung des Wissens um die Funktion der 3 Regulationssysteme für unsere Emotionen (Alarm- / Antriebs- / Fürsorge- und Beruhigungssystem) und das Erkennen meiner inneren Muster sowie das Herausfiltern meiner Kernwerte war sehr hilfreich für meine Selbstreflektion.
Zu spüren, dass es möglich ist, Mitgefühl für eine schwierige Person und gleichzeitig auch für mich selbst aufzubringen, war eine wunderschöne Erfahrung.
Der Kurs hat mich ermutigt, diese Herzensqualitäten in mir weiterzuentwickeln und zu leben.
— Petra, 52 Jahre
Albert Einstein schrieb einmal in einem Brief an einen trauernden Vater, der seinen Sohn verloren hatte (zitiert in Calaprice 2005): „Ein Mensch ist ein Teil des Ganzen, das wir ‚Universum‘ nennen: ein Teil, der durch Zeit und Raum begrenzt ist. Er erfährt sich selbst, seine Gedanken und Gefühle als etwas vom Übrigen Getrenntes – eine Art optische Täuschung seines Bewusstseins. Diese Täuschung ist ein Gefängnis für uns, das uns auf unsere persönlichen Bedürfnisse und die Zuneigung zu einigen wenigen Menschen beschränkt, die uns nahe sind. Unsere Aufgabe ist es, uns aus diesem Gefängnis zu befreien, indem wir den Kreis des Mitgefühls erweitern und alle lebenden Wesen und die gesamte Natur in ihrer Schönheit umarmen.“
Studienergebnisse zeigen eindeutig, dass Selbstmitgefühl mit deutlich gesteigertem emotionalen Wohlbefinden und erhöhter Widerstandsfähigkeit einhergeht, ohne „Nebenwirkungen“ zu haben (Neff, 2012). Insbesondere geht höheres Selbstmitgefühl mit weniger Stress, Angst und Depression einher (MacBeth & Gumley, 2012). Ein Grund dafür könnte sein, dass selbstmitfühlende Menschen weniger grübeln, Gedanken seltener unterdrücken (Neff, 2003a; Neff et al., 2007) und mit belastenden Gefühlen, Schwächen und Misserfolgen konstruktiver umgehen (Leary et al., 2007; Neely et al., 2009).
MBCL ist eine achtsamkeitszentrierte Methode in Form eines 8-wöchigen Kurses, der die Entwicklung und die Erfahrung von Selbstmitgefühl und damit die psychische und physische Gesundheit fördert. Das Selbstmitgefühl-Training in Göttingen (MBCL) unterstützt die Teilnehmenden darin, eine freundliche und mitfühlende Haltung sich selbst und anderen gegenüber zu entwickeln. Das Kursdesign ist inspiriert durch die Forschungen von Paul Gilbert, Kristin Neff und Christopher Germer, die ihrerseits den Kurs: MSC – Mindful Self-Compassion entwickelt haben.
Wie im MBSR- und MBCT-Kurs werden auch beim MBCL-Kurs Übungen praktiziert, die speziell dazu beitragen, Selbstmitgefühl und Mitgefühl mit anderen zu fördern. Es werden im Kurs Möglichkeiten erarbeitet, die Qualität von Selbstmitgefühl und Mitgefühl im Alltag zu verankern. MBCL-Übungen helfen dem Einzelnen, Geborgenheit, Sicherheit, Akzeptanz, innere Beruhigung und Verbundenheit mit sich selbst und anderen zu erfahren und zu entwickeln.
Ein weiteres Schwerpunktthema des Selbstmitgefühl-Training ist der mitfühlende Umgang mit schwierigen Gefühlen und herausfordernden Lebenssituationen. So hilft MBCL auch beim Umgang mit Depressionen, Ängsten, körperlichen Krankheiten, chronischen Schmerzen oder traumatischen Erfahrungen.
MBCL besteht ebenfalls aus 8 Einheiten von jeweils 2,75 Stunden und einer zusätzlichen Sitzung in Stille.
Die Teilnehmenden des Selbstmitgefühl-Training sollten in der Vergangenheit schon ein fundiertes Achtsamkeits-Training gemacht haben. Von daher eignet es sich sehr gut als Aufbau- bzw. Vertiefungskurs eines MBSR- oder MBCT-Kurses.
© Christoph Millington